Zum hundertsten Jahrestag der ”Erfindung“ des DaDa durch die Eröffnung des Cabaret Voltaire
in Zürich fragt das Kölner Stimm- und Performanceensemble
KörperSchafftKlang, was von DaDa, der vielleicht wichtigsten künstlerischen Bewegung des
20. Jahrhunderts, übrig ist. Wie kann man heute im Geiste des DaDa agieren?
Eine Antwort von KörperSchafftKlang war am 5. Dezember 2015 in Zürich (Helmhaus) zu hören und zu sehen:
Eine achtstündige Performance mit dem Ensemble KörperSchafftKlang
Acht Stunden lang rezitierten Mitglieder des Ensembles und Schweizer KollegInnen
ununterbrochen Hugo Balls Lautgedicht ”Totenklage“.
Mitwirkende
Winni Heil, Karin Leyk, Ralf Peters, Agnes Pollner, aus der Schweiz: An Chen Caspar,
Tamara Dübendorfer, Christine Witzemann
Das Projekt wurde realisiert mit freundlicher Unterstützung des Vereins DaDa100Zürich2016 und
stimmfeld e.V. Dank an das Kunstkiosk am Helmhaus!
Eine weitere Antwort von KörperSchafftKlang zeigte der Stimm- und Performancekünstler Ralf Peters zwischen
den Jahren:
Eine Rezitationsperformance von Ralf Peters mit dem Lautgedicht ”Totenklage“ von Hugo Ball
29. Dezember 2015 in Köln (Ausstellungshalle der Alten Feuerwache, im Rahmen der
Kunstaktion srmeo)

Fotos: © UJB (UJB photography)
Fundstück:
In den Rauhnächten steht das Geisterreich offen und die Seelen der Verstorbenen haben Ausgang.
So geschah es, dass es bei der TOTENKLAGE 2 Unterstützung aus der Geisterwelt gab:
Informationen und Wissenswertes
Balls ”Totenklage“ stellt in seiner Verweigerung aller üblichen Sinn- und Wertezusammenhänge noch
immer eine der radikalsten künstlerischen Reaktionen auf weltpolitischen Wahnwitz dar – ein Wahnsinn, der sich
auch nicht scheute, sich auf Vernunft, Gott, oder andere hehre Werte zu berufen. Darin ist die ”Totenklage“
heute so aktuell wie zur Zeit der Entstehung im 1. Weltkrieg.
So sehr noch immer Kriege, Unterdrückung, Raubbau an der Natur mit vermeintlich großen und übergeordneten Werten
gerechtfertigt werden, so sehr sind die modernen Gesellschaften selbst heute durch und durch DaDa. Den Sinnzusammenhang,
gegen den DaDa rebellierte, gibt es nicht mehr.
DaDa heute kann nicht mehr sensationell, verrückt und bunt sein. Heute muss sich DaDa dem verweigern, was es selbst mit
hervorgebracht hat. Deshalb suchen wir den Geist des DaDa in Reduktion und Repetition.
Formendes Prinzip ist dabei u.a. der Sprechgesang in seinen verschiedenen Versionen, wie er in diversen religiösen
Traditionen praktiziert wurde und wird. Hugo Ball hat sich für seine Rezitationen der Lautgedichte bekanntlich explizit
auf das katholische Psalmodieren berufen.
”Die Ruminatio führt vom bloßen Nachdenken, vom Sich-Festklammern an einzelne Wörter und
Formulierungen weg. Die Gebete werden so lange gekaut, bis sie für die betende Person nicht
mehr etwas Äußerliches sind, sondern diese von innen prägen.“
Josef Anton Willa: “Seele des Wortes” – Die Stimme im
Gottesdienst, in: Gerhards/Schneider (Hg.): Der Gottesdienst und seine Musik Bd.1, S. 70
”Um die Poesie richtig zu genießen, muss man sie psalmodieren und sich in sie hineinversenken,
muss man ihren Sinn auskosten und ihn sorgfältig kauen, um ihren Geschmack wahrzunehmen. [...]
Es ist angebracht, das Gedicht viele Male zu psalmodieren, und erst dann kann man die Noten lesen;
nachdem man die Noten gelesen hat, soll man das Gedicht erneut viele Male psalmodieren,
damit sich der Sinn ganz natürlich auflöst und uns durchtränkt – erst dann beginnt man,
das Gedicht zu verstehen.“
Zhu Xi (12. Jhdt.), zit. nach F. Jullien: Umweg und Zugang, Wien 2000,
S. 191
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Stimm- und Textperformance mit dem Ensemble KörperSchafftKlang
5. Februar 2016 im bunkerk101 in Köln-Ehrenfeld
Eine ca. zweieinhalbstündige, im Raum inszenierte Performance mit Hugo Balls Lautgedicht ”Totenklage“
an dem Tag genau hundert Jahre nach Eröffnung des Cabaret Voltaire in Zürich.
Mitwirkende
Susanne Dieterich, Winni Heil, Bettina Hesse, Karin Leyk, Ralf Peters, Agnes Pollner, Sabine Scheerer, Christine Witzemann

Fotos: © UJB (UJB photography)
Presse
» [...] Das Kölner Ensemble KörperSchafftklang bot mit seiner Stimmperformance des Lautgedichts eine lebendige Demonstration der Kraft und Originalität, die dem dekonstruierenden Ansatz der Dada-Bewegung heute noch innewohnt.
Über die Räume des Bunkers verteilt, sangen die acht Stimmkünstler
Passagen des Gedichts, in denen man einzelne Umlaute, aber auch verwickelte Lautkombinationen hören konnte. Wie abstrus ein gesungenes ”L“ wirkt, sobald es befreit aus dem Gefüge von Wort, Satz und Sinn alleine klingen darf!
Die Besucher wandern durch das verschachtelte Raumgefüge, lauschen hier und dort den Solostimmen. Bizarre Kombinationen ergeben sich, wenn die Ensemble-Mitglieder ihre Positionen wechseln oder plötzlich zwei in einem Raum mit- oder gegeneinander singen. Die Zuschauer sitzen auch auf der zentralen Flurachse, beobachten die Wechsel der Sänger und bekommen die Einzelstimmen geboten, die aus der Nähe oder aus entfernten Räumen zu einer melodischen Kakophonie zusammenfinden.
Der Versuch, das Lautgedicht in eine Installation zu übertragen, erweist sich
als genialer Ansatz, der den Dada-Gedanken raffiniert aufnimmt. Die Klänge lassen sich nach Belieben zusammensetzen. Es ist ein kulinarisches Vergnügen, sie so klar hören zu können.
Klang wird als Raumphänomen spürbar, wobei sich die Akustik des Bunkers
erstaunlich bewährt. Humor und Melancholie, die Essenzen von Hugo Balls ”Totenklage“, verschränken sich dabei auf wundervolle Weise. «
Thomas Linden, Kölnische Rundschau, 10.02.2016
Eine Produktion von stimmfeld e.V.
Gefördert durch
Am 19. November 2016 zeigten wir die TOTENKLAGE in Pirmasens zur Eröffnung des Hugo-Ball-Kabinetts im Forum Alte Post.
Mehr auf der Website der Hugo-Ball-Gesellschaft
Mitwirkende
Hans van Almsick, Susanne Dieterich, Winni Heil, Bettina Hesse, Karin Leyk, Ralf Peters, Agnes Pollner, Sabine Scheerer, Christine Witzemann
KörperSchafftKlang war nach Venedig zur International Performance Art Week vom 10. bis 17. Dezember 2016 eingeladen.
Die TOTENKLAGE war dort am 16. Dezember 2016 im Palazzo Mora zu sehen.
Am 27. Januar 2019 zeigte Ralf Peters die TOTENKLAGE als Solo-Performance im Königlichen Museum der Schönen Künste in Brüssel im Rahmen der Ausstellung Berlin 1912 bis 1932.
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